Wenn es um prominente Krefelder geht, fallen für gewöhnlich immer die gleichen Namen: Joseph Beuys und Ralph Hütter gelten als Visionäre mit Weltruhm, Andrea Berg zählt seit Jahrzehnten zu den Topstars der Schlagerbranche. Und sehr oft sind es Sportlerinnen und Sportler, die dafür sorgen, dass unsere Stadt medial positive Erwähnung findet. Seit einigen Jahren erregt aber auch ein Schauspieler mit Krefelder Wurzeln die Aufmerksamkeit von Filmfans und Kritikern: Bei seiner Bewerbung an der Schauspielschule wurde Jannis Niewöhner noch abgelehnt, mittlerweile hat der 31-Jährige etliche Trophäen im Regal, vom Bayrischen Filmpreis über den Jupiter Award und den Grimme-Preis bis hin zur Auszeichnung als „European Shooting Star“. Bekannt wurde der Hülser durch die Hauptrolle des Gideon de Villiers in der „Rubinrot“-Trilogie. Es folgten Filme wie „4 Könige“, „Jugend ohne Gott“, „High Society“ und „Asphaltgorillas“ von Detlev Buck sowie ein Auftritt als Goldmund in der Hermann Hesse-Verfilmung „Narziss und Goldmund“. Anlässlich der Premiere des NS-Dramas „Stella“ in Zürich sprachen wir mit Niewöhner.
Herr Niewöhner, auf dem Filmposter steht „Was hättest du getan?“ Wie wäre Ihre Antwort auf die Gewissensfrage, mit Verrat das eigene Leben zu retten?
Ich weiß es nicht. Der erste Impuls ist natürlich immer, dass man sagt: „Ich würde so etwas niemals tun“? Aber das hätte Stella wohl damals auch aus voller Überzeugung gesagt. Der Film zeigt ganz radikal und ehrlich ein junges Mädchen, das voller Glück und Zuversicht ins Leben schaut. Doch ihr Traum zerplatzt. Und unter gewissen Umständen kommen die meisten von uns irgendwann an den Punkt, an dem sie bereit sind, schlimme Dinge zu tun. In diesem Fall ist es, das eigene Leben und das der Eltern zu retten. Mit diesem Gedanken kann ich mich verbinden. Ich kann mir jedoch zum Beispiel nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man auf brutalste Weise gefoltert wird.
Was hat Sie an diesem Stoff interessiert?
Zum einen habe ich wirklich den Glauben daran, dass Film ganz viele Dinge mit einem machen kann. Er kann einen Perspektivenwechsel ermöglichen, durch den wir Zusammenhänge anders verstehen. Gerade in diesen Zeiten gibt es nichts Wichtigeres, als sich mit der Thematik des Zweiten Weltkriegs auseinanderzusetzen. Eine aktuelle Studie besagt, dass viele Jugendliche nicht mehr glauben, dass es den Holocaust gegeben hat. Das ist ein alarmierendes Signal!
Wie fühlt es sich an, sich in diesen Kulissen und zwischen den NS-Uniformen zu bewegen?
Ich hatte lediglich 18 Drehtage, insofern blieb mir immer wieder die Möglichkeit, aus dieser Situation am Drehort auszusteigen. Beim Drehen selbst hat man diese negative Energie der Geschichte schon mitbekommen. Umso mehr habe ich mit meiner Spielpartnerin Paula Beer gefühlt, die für die gesamte Zeit vor der Kamera stand.
Die Zahl Ihrer Filme ist größer als die Ihres Alters. Wo holt man die Energie als Vielfilmer her?
Die Energie entsteht, wenn man etwas liebt, was man macht. Wenn mir Hausaufgaben damals Spaß gemacht hätten, hätte ich auch mehr gemacht in der Schule. Es ist einfach ein Glück, wenn man seine Arbeit wirklich liebt. Dann fällt alles auf eine Art einfach, was nicht heißt, dass es bisweilen auch wahnsinnig anstrengend oder belastend sein kann. Das gehört dazu und ist eben Teil des Lebens.
Die vielen Filme sind nicht die späte Rache an der Schauspielschule, die Sie einst abgelehnt hat?
(Lacht) Nein. Es war nie so, dass ich gedacht habe: ‚So, jetzt zeig ich’s euch erst recht!’ Ich konnte die Absage von Anfang an akzeptieren als ein Ereignis in meinem Leben, das eben zu anderen Erlebnissen auf meinem Weg geführt hat. Statt über die Schule habe über meine Arbeit im Film ganz viel gelernt.
Sie wurden früh mit der „Rubinrot“-Trilogie zum Kreischobjekt der Fan-Begierde. Prompt war Ihnen der Boulevard ständig auf den Fersen. Hatten Sie bisweilen Lust auf eine Tarnkappe oder genießen Sie den ganzen Rummel?
Genießen tue ich den Rummel nicht. Der hält sich ja aber auch in Grenzen, das passiert ja immer nur phasenweise. Es war bei mir nie so, dass ich mich draußen nicht mehr bewegen konnte. Natürlich werde ich bisweilen erkannt, das sind aber meistens angenehme, kurzweilige Begegnungen. Ich habe gelernt, das anzunehmen und damit umzugehen. Ich hatte nie das Gefühl, dass mein Privatleben zu kurz kommt.
Was ist die wichtigste Qualität in Ihrem Beruf?
Sich selbst zu kennen, zu wissen, was man mag und was nicht, wie man funktioniert und warum man diesen Beruf macht. Man muss daran glauben, was Film schaffen kann. Und sollte der Außenwahrnehmung seiner Person nicht zu viel Gewicht geben.
Sie haben bereits ein großes Spektrum unterschiedlicher Rollen. Könnten Sie auch den totalen Bösewicht verkörpern?
Ich finde es einfach spannend, auch abgründige Figuren zu spielen. Ich würde nicht sagen, ich kann alles spielen. Aber ich würde es in den meisten Fällen versuchen. Das Angebot für die Rolle eines Pädophilen hatte ich allerdings abgelehnt. Da merkte ich, dass ich mich in diese Figur und diese Welt nicht hineinbegeben kann und will.
Demnächst kommen Sie als Siegfried in „Hagen“ auf die Leinwand. Schließt sich mit der Nibelungen-Sage der Fantasy-Kreis zu „Rubinrot“?
„Hagen“ ist zwar Fantasy, aber sehr viel düsterer und härter als „Rubinrot“. Spannend fand ich, dass unser Siegfried weggeht von dem klassischen Helden. Stattdessen tritt er nun als Antagonist auf und nicht als Sympathieträger. Wir haben ein bisschen versucht, dem Siegfried etwas Unangenehmes zu verleihen. Ich bin sehr gespannt, wir gut es funktioniert, wenn diesmal Hagen der Held ist!
Wie steht es um die internationale Karriere?
Gerade habe ich mit Juliette Binoche für Apple eine Serie gemacht über Coco Chanel und den Zweiten Weltkrieg. Darin spiele ich den Nazi, wie so oft bei deutschen Darstellern. Das war eine kleine, aber sehr feine Rolle. Außerdem war ich bei „Napoleon“ von Ridley Scott. Da spiele ich eine Affäre von Josefine. Eine wirklich kleine Rolle, aber eine großartige Erfahrung am Set mit diesem Regisseur.
Was ist Ihr Ratschlag für Kinogänger bei „Stella“?
Auf jeden Fall bis zum Ende anschauen. Dann löst sich erst ein, warum man sich all diese Härte und Brutalität vorher antun muss. Es ist radikaler Film. Aber er ist absolut lohnenswert. Denn man versteht mehr, wie ein Opfer zum Täter werden kann. Und weshalb Menschen in der Lage sind, schreckliche Dinge zu tun!
Text: Dieter Oßwald Fotos: Joshua Sammer/ Pascal Bovey/Majestic/Jürgen Olczyk